Hoop Dance, der Tanz der First Nations
„Wollt ihr euch den Hoop Dance anschauen?“, fragt die junge Frau im Wanuskewin Heritage Park und reicht uns die Eintrittskarten. „Die Vorführung beginnt in fünf Minuten.“
Hoop Dance, Reifentanz – das klingt vielversprechend! Wir suchen uns einen Platz im Halbrund des kleinen Amphitheaters. Gleich darauf betritt der Tänzer die Bühne. Er trägt ein hellgelbes, mit Fransen und bunten Streifen besetztes Gewand, dazu Wadenwärmer und Mokassins. Vor sich auf den Boden legt er einen ganzen Arm voll dünner weißer Reifen ab.
Nun beginnt er zu tanzen, leichtfüßig und wie im Spiel, schnell und rhythmisch zum Schlag einer Handtrommel. Dabei nimmt er immer wieder neue Reifen vom Boden auf und streift sie sich über den Kopf, über Arme und Beine. Mit weit ausgestreckten Armen dreht er sich um sich selbst, wie ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen. Wie viele Reifen mag er bewegen, 20 oder 30? Ich kann sie nicht zählen, so schnell wechselt er sie in den Händen.
Hoop Dance als Berufung
Der Tänzer, Lawrence Roy Jr., wurde in Saskatoon, Saskatchewan, geboren und gehört zum Stamm der Little Pine First Nation. Schon in der Grundschule hatte er Gelegenheit, den Tanz auszuprobieren – und war sofort bereit, hart zu trainieren. Kein Reifen sollte ohne Absicht zu Boden fallen! Später schloss er sich einer Hoop-Dance-Gruppe an und begann, auf Powwows aufzutreten, den Kulturveranstaltungen der indigenen Völker Nordamerikas.
Im Hoop Dance werden auch Weltmeisterschaften ausgetragen, doch Lawrence Roy interessiert sich nicht für den Wettbewerb. Viel wichtiger ist es ihm, Kinder und Jugendliche für den Tanz zu begeistern, und das gelingt ihm überall, wo er auftritt und unterrichtet. An den Schulen und Gemeindezentren rund um Saskatoon, wo er seine Hoop-Dance-Kurse gibt, hat er großen Zulauf. Auch seine eigenen Kinder sind bereits geübte Tänzer.
Ich sehe, wie er beim Tanzen lacht. Cooler Typ, denke ich. Wie leicht und spielerisch er sich bewegt! Für diese Leichtigkeit wird er jahrelang trainiert haben. Lawrence Roy liebt, was er tut, und diese Freude macht sein Charisma aus.
Symbol für den Kreislauf des Lebens
Der Hoop Dance ist nicht einfach eine Sportart, sondern hat eine tiefere Bedeutung in der Tradition der First Nations. Denn die Reifen symbolisieren für sie den Kreislauf des Lebens, der keinen Anfang und kein Ende hat, ein Aufgehobensein in den Jahreszeiten und Kreisläufen der Natur. So kann Lawrence Roy mit dem Tanz und seinem Engagement in der Jugendarbeit auch einen wichtigen Teil der indigenen Kultur an die nächste Generation weitergeben.
Früher wurden die Ringe aus biegsamen Weideruten gefertigt, heute dagegen sind sie meist aus Kunststoff hergestellt. Viele Tänzer verzieren ihre Reifen zusätzlich mit verschiedenen Farben, um die vier Richtungen darzustellen. Lawrence Roy zum Beispiel hat jeden seiner Ringe an vier Punkten mit gelbem und rotem Klebeband versehen.
Die Vorführung ist beendet, der Tänzer bedankt sich für den Applaus und sammelt seine Reifen ein. Dann wendet er sich an die Kinder im Publikum: „Wer hat Lust, zu mir herunterzukommen und den Hoop Dance auszuprobieren?“
Einige Kinder stürmen sofort auf die Bühne, andere blicken sehnsüchtig hinunter, trauen sich aber nicht. Wir stehen auf, um uns die Ausstellung im Kulturzentrum des Wanuskewin Heritage Park anzusehen. Und um im freundlichen Licht der Nachmittagssonne durch die zauberhafte Prärielandschaft des Parks zu wandern. In der Ferne taucht eine Herde Bisons auf.
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